Kreuzfahrerbibel, M 638 F 46

Dan Jones' Kreuzfahrer: Abenteuerroman mit Tiefgang?

Written by: Joachim Rother

|

Time to read 3 min

Wer denkt, Geschichte sei trocken und voller Jahreszahlen, hat noch nie ein Buch von Dan Jones gelesen. Der britische Historiker und Bestsellerautor ist bekannt dafür, komplexe historische Themen so zu erzählen, dass man sie am liebsten in einem Rutsch durchlesen möchte. Sein Buch Kreuzfahrer (im Original: Crusaders) ist da keine Ausnahme. Und wer mehr sehen möchte: Im dazugehörigen YouTube-Video habe ich mit meinem lieben Freund Andrej (Geschichtsfenster) zusätzliche Einblicke, Bildmaterial und weitere Hintergrundinfos zusammengetragen. 

Transparenzhinweis: Buchbesprechung und Video sind eine Auftragsarbeit des Verlages C.H. Beck.

Ein Buch wie eine Serie

Statt einer trockenen Chronologie erwartet uns in Kreuzfahrer ein bunter Reigen aus Episoden, die jeweils um einzelne Personen kreisen. Das können mächtige Figuren wie Richard Löwenherz oder Saladin sein, aber auch eher unbekannte Menschen wie Pilgerinnen, Prediger oder nordische Kreuzfahrer. Schon das Intro macht klar, wohin die Reise geht: Eine Frau möchte ihren Mann von der Teilnahme an einem Kreuzzug abhalten. Als sie eine Vision hat, ändert sie ihre Meinung und näht ihrem Mann eigenhändig das rote Kreuz auf den Umhang – ganz persönlich, ganz nah dran.

Pluralität, Pathos und Gewalt

Jones gelingt es, eine pluralistische Geschichte der Kreuzzüge zu erzählen. Er beschränkt sich nicht auf den klassischen Blick aus christlich-europäischer Perspektive, sondern bezieht auch muslimische Stimmen, Byzantiner, Juden und sogar skandinavische Beteiligte mit ein. Besonders spannend ist, dass er sich nicht auf Jerusalem fokussiert, sondern auch "Randzonen" wie das Baltikum oder die Taifa-Königreiche in Spanien beleuchtet. Hinzu kommt: Jones hat ein Faible für Themen der Kriegsführung. Dieser Fokus gibt dem Buch zusätzlich Fahrt, Geschwindigkeit und Action – sorgt also für Spannung, kann aber auch Leser:innen abschrecken, die sich stärker für kulturelle oder religiöse Aspekte interessieren.

Schlacht bei Hattin
Schlacht bei Hattin, Cambridge, Corpus Christi College, MS 026 Matthew Paris OSB, Chronica maiora I, fol. 140r

Geschichte mit Gegenwartsbezug

Ein echtes Highlight ist der Blick in die Gegenwart: Jones zeigt, wie die Kreuzzüge bis heute politisch und ideologisch instrumentalisiert werden. Begriffe wie "Kreuzfahrer" oder "Dschihad" sind nach wie vor hochgradig aufgeladen und dienen verschiedensten Gruppen als propagandistisches Werkzeug – von westlichen Nationalisten bis hin zu islamistischen Terrororganisationen. Besonders im arabischsprachigen Raum hat der Begriff „Crusader“ eine extrem negative Konnotation und wird gezielt genutzt, um Feindbilder zu konstruieren.

Dass Dan Jones diese Instrumentalisierung der Kreuzzugsrhetorik thematisiert, ist wichtig und absolut notwendig. Genau das ist auch ein Punkt, den ich selbst in meinen MDVAL-Videos immer wieder betone: Die Symbolik der Kreuzfahrer wird oft romantisiert oder missbraucht, sei es in popkulturellen Kontexten, im politischen Diskurs oder sogar in radikalen Ideologien. Jones greift diese moderne Wirkungsgeschichte explizit auf – eine Episode, die in keiner ernst gemeinten Darstellung der Kreuzzüge fehlen darf.


Schwachstelle: Quellenkritik mit Luft nach oben

So packend Kreuzfahrer geschrieben ist – an manchen Stellen wäre eine kritischere Auseinandersetzung mit den (lobenswert vielen!) zitierten Primärquellen Quellen wünschenswert gewesen. Deutlich wird das zum Beispiel bei der berühmten Szene der "Deus Vult"-Rufe beim Konzil von Clermont: Jones übernimmt diese Darstellung von Robert dem Mönch, obwohl die neuere Forschung (z.B. Georg Strack) heute stark bezweifelt, dass diese Ausrufe in der überlieferten Form bei Clermont überhaupt gefallen sind.

Ein weiteres Beispiel ist das Thema Kannibalismus, zum Beispiel während der Belagerung von Ma’arra. Auch hier bleibt Jones recht nahe an den drastischen Schilderungen der Quellen, ohne tiefer auf deren Kontext, propagandistische Intentionen oder Übertreibungen einzugehen. Zwar geht man davon aus, dass Kannibalismus v.a. während des ersten Kreuzzuges durchaus vorgekommen ist, trotzdem wäre gerade dieses Thema ein idealer Anlass gewesen, um zu zeigen, wie ambivalent und komplex mittelalterliche Quellen gelesen werden müssen. Wer sich für differenzierte Quellenkritik interessiert, wird an diesen Stellen etwas ratlos zurückgelassen (zum Glück gibt's mein Video zum Thema Kannibalismus :-)

Schlacht bei Maara
Schlacht bei Maara, Darstellung aus dem Schloss von Versailles aus dem 19. Jhd., nach Henri Decaisne

Fazit: Abenteuer statt Uni

Crusaders ist kein wissenschaftliches Werk im engen Sinne, sondern eine spannende, unterhaltsame Erkundung der Kreuzzüge. Wer einen umfassenden und fesselnden Einstieg ins Thema sucht, wird hier bestens bedient. Wer akademische Tiefe erwartet, sollte zu anderen Titeln greifen. Jones selbst macht kein Geheimnis daraus: Er will Geschichte erzählbar machen – und das gelingt ihm mitreißend.


Danke an C.H. Beck, dass wir das Buch rezensieren durften!

Literatur


  • Runciman, Steven. A History of the Crusades. Band I: The First Crusade and the Foundation of the Kingdom of Jerusalem. Cambridge University Press, 1951 (Band II: 1952; Band III: 1954)
  • Riley‑Smith, Jonathan. The Crusades: A History. 3. Auflage. Bloomsbury, 2014.
  • Phillips, Jonathan P. The Crusades, 1095–1204. 2. Auflage. Routledge, 2014.

Joey von MDVAL

Joey hat an der Uni Bamberg zur Geschichte des Templerordens promoviert. Er ist als Content Creator auf Twitch und Youtube unterwegs und hat im Jahr 2023 die Kleidermarke MDVAL Streetwear gegründet.

Diese Produkte gefallen dir bestimmt